Wir tauschen Ansichten und Ängste wie weiche Tiere aus - Slata Roschal stellt ihren Gedichtband und ihren Roman vor
Diese Veranstaltung wird von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung unterstützt.
Slata Roschal: Wir tauschen Ansichten und Ängste wie weiche warme Tiere aus.
hochroth, München 2021. 40 S. 8 €
Marie Luise Knott empfiehlt dieses Bändchen in der Reihe der Lyrik-Empfehlungen 2022 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Wem kann man sich zuwenden, wenn man doch weiß, dass alles Schöne zerstiebt, dass alles, woran wir unser Herz hängen, jederzeit verschwinden kann? Solche und ähnlich existenzielle Fragen durchziehen völlig unspektakulär den zweiten Gedichtband von Slata Roschal; dazwischen scheint die Sehnsucht auf, es gäbe nicht nur Bedeutungen, sondern auch Begegnungen. Alles bleibt in der Schwebe. In »gefährlich guter Sprache« (Max Fluder) und subtiler Lakonie prallen ferne und unmittelbare Bilder aufeinander. »Man sagte mir ich kam zu früh zur Welt / Ich weiß nicht ob es stimmt und wer mich dazu zwang / Ob ich am Täter Rache nehmen sollte.« Das wechselnde lyrische Ich (»Schaut, sie ist ein Junge«) wähnt sich unter heimlicher Beobachtung, von Meisen, Silberfischen und Nachbarn; Brathendln wachsen Federn, Fliegen wählen sich das Ohr des Menschen zum Quartier und »Im Garten grub der beigesetzte Hamster neue Gänge.« In dieser Welt am Rande des Zusammenbruchs finden sich Slogans und Werbesprüche eingestreut, als gäben sie den Ansichten und Ängsten Halt. Lesen Sie selbst.
slata roschal: 153 formen des nichtseins. roman. homunculus verlag 2022. 171 s. 22,00 €
Ein Roman über Identität, Migration, Außenseitertum, Weiblichkeit und die Frage nach dem Sein. Ksenia ist Russin, sie ist Deutsche, sie ist Jüdin, sie ist unter Zeugen Jehovas aufgewachsen, sie ist eine junge Frau, Mutter, Schriftstellerin und Wissenschaftlerin - das alles ist sie und gleichzeitig ist sie nichts davon. Bei der Erforschung des eigenen Identitätspluralismus sammelt sie Ebay-Anzeigen, die das Wort 'russisch' enthalten, notiert Gespräche von Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen, korrigiert Stellenaushänge, beobachtet russische Mütter in der Stadt und israelische Verwandte auf Facebook, besucht arabische Läden, diskutiert mit einem Logopäden, dolmetscht in einer Psychotherapie für Flüchtlinge, erinnert sich immer wieder an einen traumatischen kindlichen Zustand von Orientierungslosigkeit und Fremdbestimmung, betastet misstrauisch ihren Körper und fragt sich nach einer Definition und dem Wert des eigenen Daseins. Ein schonungsloses Romandebüt in Form einer Prosacollage voll bissigem Humor und sezierenden Alltags- wie Selbstbeobachtungen.
„Roschals Roman [findet] in seiner überraschenden Struktur und seiner vielstimmigen Prosa eine überzeugende Lösung dafür, wie eine literarisch anspruchsvolle, diskursiv komplexe und zugleich sehr gut lesbare Erzählliteratur heute aussehen kann.“ Moritz Baßler am 30. März 2022 in der FAZ
Slata Roschal wurde 1992 in St. Petersburg geboren. Sie lebt in München.
2019 erschien ihr erster Gedichtband mit dem Titel „Wir verzichten auf das gelobte Land“ bei Reinecke & Voß in Leipzig.